Zum 200. Geburtstag von Carl Reinecke

Neuer Veranstaltungsort: Klavierwerkstatt Kontrapunkt, Dorfstr. 39 (hinter dem Alten Wirt)

© Raphael Fischer-Dieskau

Wer sich als eingefleischter Klassik- und Kammermusikfan fragt „Wer war Carl Reinecke?“, ist nicht allein und offenbart schon gar nicht eine Bildungslücke. Denn Carl Reinecke (1824 – 1910) – international gefeierter Pianist, unglaublich produktiver Komponist, über Jahrzehnte hinweg Gewandhauskapellmeister in Leipzig, Professor am dortigen Konservatorium und Musikschriftsteller – ist einer der zu Unrecht am Gründlichsten vergessenen Komponisten der Romantik. Dies ändert sich allmählich in unseren Tagen, und daran haben die Künstler des Konzertabends am 21. Juni 2024 maßgebenden Anteil. Sie sind nicht nur hochgelobte Ausnahmemusiker und Musikpädagogen, sondern haben als Duo mit ihren Einspielungen der Cellosonaten von Ludwig van Beethoven und Carl Reinecke die Kritik grenzenlos begeistert. Lassen Sie sich dieses „einzigartige Hörerlebnis“ (Classic.com) nicht entgehen!

Das Programm des Abends

Ludwig van Beethoven, Sonate Nr. 4 C-Dur, op. 102/1
Carl Reinecke, Sonate Nr. 3 G-Dur, op. 238 „Den Manen Brahms“
Johannes Brahms, Sonate Nr. 2 F-Dur, op. 99

würdigt die Stellung Reineckes als Bindeglied zwischen früher und später Romantik. Es beginnt mit Beethovens vorletzter Cellosonate, die in mancherlei Hinsicht als Vorbotin der Romantik gesehen werden kann, und schließt mit der großartigen zweiten und letzten Cellosonate von Brahms, einem seiner schönsten Spätwerke. Beethoven und Brahms umarmen also den Jubilar Reinecke musikalisch. Eintritt: € 25, für Mitglieder € 20, für Schüler/Studierende bis 30 J. € 5.
Verbindliche Anmeldung unter info@kammermusik-pasing.de

Carl Reinecke (1824 – 1910) wuchs im damals dänischen Altona als Sohn eines Musiklehrers in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen auf. Er besuchte die Armenschule und erhielt bereits mit sechs Jahren Klavier- und Violinunterricht bei seinem strengen, und, wie wir heute sagen würden, autoritären Vater. Später beklagte er seine „Erziehung zur Willenlosigkeit“. Mit 11 Jahren debütierte er als Pianist, mit 15 veröffentlichte der seine erste Komposition. Ein Stipendium des dänischen Königs ermöglichte ihm 1843 bis 1846 einen Studienaufenthalt in Leipzig bei Mendelssohn und Schumann. Auf eine einjährige Anstellung als dänischer Hofpianist folgten musikalische Wanderjahre, die ihn als Dirigent nach Bremen, als Klavierdozent an das Kölner Konservatorium, als Kapellmeister nach Barmen, als Musikdirektor nach Breslau und schließlich zurück nach Leipzig führten. In dieser Zeit lernte er Franz Liszt und auf dessen Empfehlung Hector Berlioz persönlich kennen. Die Stellung seines Lebens erlangte er 1860, als er Gewandhauskapellmeister wurde – eine Position, die er bis 1895 innehatte. Daneben war er am Leipziger Konservatorium als Kompositionslehrer tätig, ab 1885 als Professor und von 1897 bis 1902 als dessen Direktor.

Seine Bescheidenheit und seine Selbstzweifel  machten eine Existenz als Tastenlöwe, Stardirigent oder komponierender Exzentriker unmöglich. Allerdings ließ selbst Franz Liszt seine Tochter in Paris von Reinecke unterrichten, und Hans Christian Andersen pries den Pianisten Reineck in einem Gedicht. Für seine herausragenden Fähigkeiten als Dirigent sprechen die schier unfassbar lange Amtszeit als Chefdirigent des Gewandhausorchesters und nicht zuletzt der Umstand, dass ihm Brahms die Uraufführung seines Deutschen Requiems anvertraute.

Reinicke war Kompositionslehrer beispielsweise von Max Bruch, Edvard Grieg, Frederick Delius und Isaak Albéniz. Er sah sich als Bewahrer und Vollender der musikalischen deutschen Romantik mit seinen Mentoren und Fixsternen Mendelssohn und Schumann. Den Neutönern um Liszt, Wagner, Berlioz und auch Bruckner stand er ablehnend gegenüber und bildete so im Gefolge von Brahms und Rheinberger den konservativen Gegenpol zur „Neudeutschen Schule“. Das Œvre des Vaters von neun Kindern umfasst unglaubliche 288 Opuszahlen – Opern, Oratorien, Sinfonien, Instrumentalkonzerte, Kammermusik und Lieder. Sein unerschöpflicher Einfallsreichtum, seine melodische Kreativität, seine dynamische Gestaltungskraft und seine handwerkliche Perfektion heben ihn „turmhoch über den Durchschnitt der Zeit“ (Walter Zielke). Dennoch ließ er sich in schier grenzenloser Bescheidenheit im Gespräch zu der Bemerkung hinreißen, er werde – bei einem Vergleich mit Schumann – nicht dagegen opponieren, wenn man ihn einen Epigonen nenne. Welch ein bewundernswerter Epigone!

Carl Reinecke
widmete seine im Todesjahr von Johannes Brahms 1897 entstandene dritte Cellosonate op. 238 den Manen, also dem Gedenken des eben verstorbenen Komponisten. Das dreisätzige Werk ist eine melodieselige, wehmütige bis trotzig aufbegehrende Hommage an den verehrten Toten, die bei aller Eigenständigkeit dem Geist, Stil und emotionalem Ausdruck von dessen Kompositionen verblüffend nahekommt.

Beethoven
bezeichnete seine1815 entstandenen Cellosonate C-Dur op. 102 Nr. 1 im Autograph als „Freje Sonate“. Der Komponist beschäftigte sich in dieser Zeit intensiv mit Johann Sebastian Bachs Musik. Das Werk ließ viele zeitgenössischen Zuhörer ratlos zurück: Wie andere Spätwerke des Komponisten weicht sie in formaler Hinsicht von überkommenen Formen ab; sie besteht aus lediglich zwei Sätzen mit jeweils einer langsamen Einleitung. Die Themen in den Allegro-Teilen erscheinen lakonisch verkürzt, brechen ab oder wirken wie Überleitungen, martialische Unisono-Passagen werden durch ariose Elemente abgelöst, die Verarbeitung der Themen mündet immer wieder in einen Schlagabtausch zwischen beiden Instrumenten, lastend-brütende Übergänge werden abgelöst durch kontrapunktische Elemente, vor allem im abschließenden Allegro vivace des zweiten Satzes, der mit einem wilden, hochvirtuosen Fugato in Rondoform seinem abrupten Ende entgegen stürmt. Der Mannheimer Kapellmeister Michael Frey schrieb nach der Uraufführung 1815 in sein Tagebuch, die Cellosonaten op. 102 Nr. 1 und 2 seien „ohnmöglich (zu) verstehen“. In der Musikalischen Zeitung Berlin war dagegen 1824 zu lesen, das Finale der Cellosonate Nr. 4 sei „ganz dem großen Genie würdig“.

Brahms komponierte seine Cellosonate Nr. 2 F-Dur op. 99 im Jahr 1886 – eine viersätzige Sonate voller Leidenschaft und schmerzvoller Expressivität, aber versöhnlichem Ende. Er schrieb sie nach eigenem Bekunden „in Erwartung einer geliebten Freundin“, vielleicht der Sängerin Hermine Spieß, die der Komponist Gerüchten zufolge heiraten wollte – was diese entschieden ablehnte. Auf den leidenschaftlich drängenden Eingangssatz folgt der emotionale Höhepunkt der Sonate, ein tief bewegendes Adagio affetuoso mit einer wunderbaren einleitenden Kantilene, gefolgt von einem kontrapunktierenden Pizzicato-Thema, das sogleich in einen akkordgestützten melodiösen Mittelteil übergeht und im Nachspiel Schumanns Lied „Nun hast Du mir den ersten Schmerz getan“ aus dem Zyklus „Frauenliebe und Leben“ zitiert. Auf das unruhige Scherzo strebt das Werk mit einem kurzen, heiter-gelösten rondoartigen Finalsatz seinem festlichen Schluss zu.

Der Cellist Manuel Fischer-Dieskau, Sohn der Sänger-Legende Dietrich Fischer-Dieskau, zählt ohne Zweifel zu den herausragenden Musikern seiner Generation. Seine Erfahrungen als Kammermusiker und Solist an der Seite von Künstlern wie Christian Zacharias, Katja & Marielle Labèque, Sabine Meyer, Viktoria Mullova, François Leleux, Reinhard Goebel oder Christoph Poppen u.v.m. machen ihn zu einem gefragten und begehrten Partner auf den internationalen Konzertpodien. Nach seinem Studium, u.a. bei Wolfgang Boettcher und Janos Starker, begann MFD seine berufliche Laufbahn als Cellist des international renommierten Cherubini-Quartetts. Er beschäftigt sich auch intensiv mit dem Spiel auf dem Barockcello und mit der historisch informierten Aufführungspraxis. Eine weitere Leidenschaft ist das Komponieren. MFD ist Professor für Violoncello und Kammermusik an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz.

Die kanadische Pianistin Connie Shih gab im Alter von neun Jahren  ihr Orchesterdebüt beim Seattle Symphony Orchestra mit Mendelssohns 1. Klavierkonzert. Neben internationalen Auftritten als Solistin konzertierte sie mit namhaften Orchestern in Kanada, den USA, Europa, Japan und China. Als Kammermusikpartnerin arbeitete sie mit Künstlern wie Isabelle Faust und Tabea Zimmermann zusammen. Connie Shih ist seit 2022 Professorin für Klavier- und Kammermusik am Mozarteum Salzburg und gibt Meisterkurse auf der ganzen Welt.