Das Quartett HANA und Junhyung Kim (Klavier) spielen Werke von Joseph Haydn, Erwin Schulhoff und Dimitri Schostakowitsch
Das Quartett HANA und Junhyung Kim (Klavier) spielen Werke von Joseph Haydn, Erwin Schulhoff und Dimitri Schostakowitsch
Der Gedanke, Kompositionen ausgehend von den Lebensumständen ihrer Schöpfer und den politischen Strömungen ihrer Zeit zu interpretieren, ist ebenso naheliegend wie problematisch. Denn die Gestalt großer Musik ist eben nicht allein abhängig von den Verhältnissen, sondern tritt ihnen autonom gegenüber. Allerdings wäre es töricht, die biographischen und soziopolitischen Einflüsse bei der Deutung von Kompositionen ganz außer Betracht zu lassen. Kammermusik in Pasing eröffnet die Spielzeit 2024/2025 mit einem Programm, das es den Besucherinnen und Besuchern ermöglicht, dem Spannungsverhältnis zwischen Biographie, Politik und autonomem Gestaltungswillen am Beispiel dreier paradigmatischer Kompositionen nachzuspüren.
Das Streichquartett C-Dur op. 74 Nr. 1, Hob. III:72 von Joseph Haydn, die Fünf Stücke für Streichquartett von Erwin Schulhoff und das Klavierquintett g-Moll op. 57 von Dimitri Schostakowitsch zeigen, auf welch unterschiedliche Weise die Komponisten mit diesem Spannungsverhältnis umgegangen sind. Das junge und mehrfach ausgezeichnete Quartett HANA hat sich für diesen Kammermusikabend mit dem ebenfalls preisgekrönten und international erfolgreichen Pianisten Junhyung Kim zusammengetan.
Eintritt: 25, für Mitglieder € 20, für Schüler/Studierende bis 30 J. € 5.
Verbindliche Anmeldung unter info@kammermusik-pasing.de
Joseph Haydn (1732 – 1809), Streichquartett op. 74 Nr. 1: die Verteidigung der Leichtigkeit des Seins
Haydn schrieb seine sechs späten Streichquartette op. 71 und 74 nach Rückkehr von seiner triumphalen eineinhalbjährigen Englandreise im Jahr 1793 in Wien. Die Französische Revolution hatte mit ihrem Terrorregime ihren Höhepunkt erreicht, König Louis XVI und seine Frau Marie Antoinette starben unter der Guillotine, Europa versank für mehr als 20 Jahre in Kriegen, denen Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Scheinbar unberührt davon schuf Haydn ein heiteres, unbeschwertes Werk mit eingängigen und tänzerischen Themen, schlichter, volkstümlicher Melodik und einem spektakulären wilden „Volksmusik“-Finale. Bei genauerem Hinhören fallen jedoch die musikalischen Widerhaken und Störfeuer auf, die der Komponist zielgerichtet gesetzt hat, um allzu selbstgewisse Hörgewohnheiten zu untergraben. Diese kontrollierte Verunsicherung wird schon in den einleitenden Akkordschlägen deutlich, die eher den Schluss als den Beginn einer Komposition markieren. Es folgen in allen Sätzen überraschende und kühne Modulationen, dynamische Variationen, rhythmischen Verschiebungen und ein virtuoses Finale. Kein kompositorischen „Business as usual“, sondern ein verhalten optimistischer Aufbruch in eine neue, unbekannte Zeit. Und Kammermusik, nicht geschrieben für intime Aufführungen in Adelspalais, sondern in öffentlichen Abonnement-Konzerten für ein selbstbewusstes bürgerliches Publikum, wie es Haydn in England kennengelernt hatte.
Erwin Schulhoff (1894 – 1942), Fünf Stücke für Streichquartett: der Tanz auf dem Vulkan
Schulhoff, in Prag als Kind einer deutsch-jüdischen Familie geboren, war einer der vielseitigsten, kreativsten und originellsten Komponisten der Zeit zwischen den Weltkriegen. Ein Rebell und Provokateur, der heute so gründlich vergessen ist, dass nicht einmal eingefleischte Klassik-Fans seinen Namen kennen – Folge der Verfemung und Verfolgung durch Nazi-Deutschland. Mitte der 1920er Jahre gehörte er zu den bekanntesten Komponisten der avantgardistischen Musikszene. Auf internationalen Festivals für Neue Musik feierte er Triumphe, Paul Hindemith brachte einige seiner Kammermusikwerke zur Uraufführung. Bereits als Siebenjähriger wurde er von Antonín Dvořák gefördert. Mit zehn kam er an das Prager Konservatorium, vier Jahre später nahm ihn Max Reger in seine legendäre Leipziger Kompositionsklasse auf und 1913 erhielt er Unterricht bei Claude Debussy in Paris. In den frühen Zwanziger Jahren tauchte er als freischaffender Musiker in Berlin und Dresden tief in die künstlerische Avantgarde ein, lernte den Maler George Grosz und seinen dadaistischen Kreis kennen, veranstaltete „Fortschrittskonzerte“ und tanzte sich in den Nächten durch die Jazz-Clubs. Nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt Prag setzte er sich für die Zwölftonmusik und die Vierteltonmusik ein, nahm aber auch tschechische Musiktraditionen auf und verband sie zu seinem ganz eigenen Klangkosmos. Schulhoff schrieb Kammermusik, eine Oper, ein Ballett, Symphonien, ein Jazzoratorium, Lieder und Solokonzerte. Als glühender Sozialist vertonte er 1930 das Kommunistische Manifest als Kantate im Stil des sozialistischen Realismus. Seine große Liebe aber galt dem Tanz und dem Jazz. In einem Brief an den Komponistenkollegen Alban Berg schrieb er: „Ich habe eine außerordentliche Leidenschaft für modische Tänze, und es gibt Zeiten, da gehe ich Nacht für Nacht tanzen allein aus Begeisterung für den Rhythmus und aus unbewusster Sinnlichkeit…“.
Schulhoff, der die sowetische Staatsbürgerschaft beantragt und 1941 erhalten hatte, starb im August 1942 auf der Festung Wülzburg bei Weißenburg in Mittelfranken, wo er als ausländischer Staatsangehöriger interniert war, an Mangelversorgung und Tuberkulose. Am 13. Juni 1941 hatte er gültige Einreisepapiere in die Sowjetunion in der Hand. Der Überfall Hitler-Deutschlands auf den Sowjetstaat neun Tage später verhinderte die rettende Ausreise.
Mit den Darius Milhaud gewidmeten, 1924 entstandenen Fünf Stücken für Streichquartett gelang Schulhoff der Durchbruch in der Neue-Musik-Szene. Es sind Tanzsätze in dem für ihn typischen farbigen, rhythmisch-motorischen Stil – höchst vergnügliche und immer wieder überraschende Burlesken. Im ersten Satz wird die Wienerische Walzerseligkeit karikiert. Ihm folgt eine delikat beginnende Serenade, die jedoch alsbald grotesk dekonstruiert wird. Der dritten Satz ist eine Humoreske über traditionelle tschechische Tanzmusik. Überraschend einfühlsam, ja zärtlich kommt der anschließende Tango daher, und mit dem abschließenden „Alla Tarantella“ enden die Fünf Stücke in einem einzigen, mitreißend-stampfenden Wirbel.
Dimitri Schostakowitsch (1906 – 1975), Klavierquintett op. 57: Ringen um Klarheit und Wahrheit
Das 1940 entstandene Klavierquintett op. 57 hat seinen Schöpfer vor den Fängen der stalinistischen Terrormaschinerie bewahrt. Vier Jahre zuvor war in der „Prawda“ ein vernichtender Artikel über seine Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ erschienen, den Stalin nach Besuch der Oper am Vortag lanciert hatte. Der Vorwurf des „Formalismus“, also der westlich-dekadenten Abkehr von den Grundsätzen des sozialistischen Realismus, war buchstäblich lebensgefährlich. Werke des Komponisten kamen auf den Index, Schostakowitsch wurde in die Geheimdienstzentrale Lubjanka vorgeladen und vom Geheimdienst NKWD verhört. Mit der Komposition seiner „linientreuen“ 5. Symphonie konnte sich der Komponist 1937 dem schlimmsten Druck entziehen. Aber erst das Klavierquintett führte zu seiner vollständigen Rehabilitation. Die Uraufführung wurde ein riesiger Erfolg; Schostakowitsch erhielt den Stalinpreis 1. Klasse, verbunden mit einem Preisgeld von 100.000 Rubel, und wurde mit dem Rotbannerorden geehrt. Die Uraufführungskritik in der Prawda war ein Lobgesang auf die Rückkehr zur sowjetischen Ästhetik – ein geradezu groteskes Missverständnis, das dem Komponisten nach dem Krieg den Vorwurf des Opportunismus einbrachte.
Zu Unrecht, denn gerade beim Klavierquintett op. 57 tritt der Komponist der politischen Instrumentalisierung seiner Musik durch den Rekurs auf Johann Sebastian Bach entschieden entgegen. Sorgfalt des Notensatzes, Klarheit und Struktur des Aufbaus, Schlichtheit des thematischen Materials und Innigkeit des Ausdrucks sind die Wesensmerkmale des Werks, das eine ganz eigentümliche Würde ausstrahlt.
Die Komposition beginnt mit einer machtvoll präludierenden Klavier-Einleitung, die von einem intensiven Streichersatz aufgenommen und im Dialog mit dem vorwärtstreibenden Klavier dramatisch gesteigert wird. Das nachfolgende Adagio entwickelt sich aus einer zarten Fuge in den Streichern, die vom Klavier in einen Verzweiflungsausbruch verwandelt wird und schließlich in einem entsagungsvoll-resignativen Trauergestus versinkt – wohl das innere Zentrum des ganzen Werks. Im völligen Kontrast dazu steht das kraftmeierische Scherzo mit seiner karikaturhaft übertriebenen hämmernden Rhythmik. Im Intermezzo werden die Emotionen wieder geglättet und gewissermaßen reflektiert, ehe das Werk mit dem optimistischen Finalsatz schließt.
Das Quartett HANA mit Gyurim Kwak und Fuga Miwatashi (Violinen), Simon Rosier (Viola) und Tzu-Shao Chao (Violoncello) gründete sich 2019 an der Münchner Musikhochschule und studiert aktuell in der Quatuor Ébène Academy sowie bei Prof. Hariolf Schlichtig und Prof. Eberhard Feltz. Das Quartett konnte bereits mehrere Preise bei internationalen Wettbewerben erringen. Im Jahr 2020 gewann das Quartett den 3. Preis beim Felix Mendelssohn Bartholdy Wettbewerb. Beim ARD Musikwettbewerb 2022 erhielt es den ”Förderpreis Jeunesses Musicales Deutschland“ und beim renommierten Internationalen Carl Nielsen Kammermusikwettbewerb in Kopenhagen 2023 den 3. Preis.
Junhyung Kim wurde 1997 in Seoul geboren und erhielt im Alter von zehn Jahren seinen ersten Klavierunterricht. Derzeit studiert er Klavier bei Antti Siirala an der Hochschule für Musik und Theater München. 2017 gewann er beim ARD Musikwettbewerb den Sonderpreis der Mozart-Gesellschaft. 2022 erspielte er sich beim ARD Musikwettbewerb den 2. Preis. Im folgenden Jahr gewann er den 3. Preis beim Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb. Er ist Preisträger weiterer internationaler Wettbewerbe und gibt Recitals in Europa, den USA und Südkorea. In Deutschland ist er mit Orchestern wie dem Konzerthausorchester Berlin und dem Münchener Kammerorchester aufgetreten.