Programm

Samstag, 5. Mai 2012

Schumann-Quartett

Bilder vom Konzert


Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) 2 Fugen aus der "Kunst der Fuge"

Contrapunctus 1: Einfache Fuge über das Thema in seiner Urgestalt

Contrapunctus 3: Einfache Fuge über die Umkehrung des Themas


Viktor Kalabis (1923 – 2006) 4. Streichquartett op.62 in einem Satz

Andante misterioso „Ad honorem J. S. Bach)


Johann Sebastian Bach 2 Fugen aus der "Kunst der Fuge"

Contrapunctus 6 in Stylo Francese: Gegenfuge über das variierte Thema und seine Umkehrung in zwei verschiedenen Wertgrößen

Contrapunctus 9 alla Duodecima: Doppelfuge über ein neues Thema und das Hauptthema


Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975) Streichquartett Nr.8

Largo - Allegro molto - Allegretto - Largo - Largo


Robert Schumann (1810 – 1856) Streichquartett op 41/1 a-Moll

Andante espressivo/ Allegro – Scherzo: Presto - Adagio – Presto



Das 8. ist wohl das bekannteste und meistgespielte von Dmitri Schostakowitschs 15 Streichquartetten. Dieses achte Streichquartett ist sein persönlichstes. Schostakowitsch komponierte dieses achte Quartet in drei Tagen im Juli 1960 während eines Kuraufenthaltes in Gohrisch bei Dresden. Im Dezember 1959 hatten die Ärzte die Diagnose: unheilbare Erkrankung des Rückenmarks gestellt, vorher war seine zweite Ehe zerbrochen, im Jahr der Entstehung des Quartetts, 1960, trat er in die KPdSU ein, aus der Sicht von engen Freunden erzwungen, aus offizieller Parteidarstellung natürlich freiwillig. Dies alles stürzte Schostakowitsch in eine tiefe persönliche Krise, in der das achte Streichquartett entstand.

In einem Brief unmittelbar nach Fertigstellung der Komposition an einen engen Freund (Isaak Glikman) schreibt Schostakowitsch:

„ Wie sehr ich auch versucht habe, die Arbeiten für den Film (fünf Tage-fünf Nächte) im Entwurf auszuführen, bis jetzt konnte ich es nicht. Und stattdessen habe ich ein niemandem nützendes und ideologisch verwerfliches Quartett geschrieben. Ich dachte darüber nach, dass, sollte ich irgendwann einmal sterben, kaum jemand ein Werk schreiben wird, das meinem Andenken gewidmet ist. Deshalb habe ich beschlossen, selbst etwas Derartiges zu schreiben. Man könnte auf seinen Einband auch schreiben: „Gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts“. Grundlegendes Thema des Quartetts sind die Noten D, Es, C, H., das heißt meine Initialen (D.Sch.) Im Quartett sind Themen aus meinen Kompositionen und das Revolutionslied “Gequält von schwerer Gefangenschaft“ verwandt.

Folgende meiner Themen: aus der Ersten Symphonie, der Achten Symphonie, aus dem [Klavier- ] Trio, dem Cellokonzert, aus der Lady Macbeth. Andeutungsweise sind Wagner (Trauermarsch aus der Götterdämmerung) und Tschaikowsky (zweites Thema des ersten Satzes der Sechsten Symphonie) verwandt. Ach ja: Ich habe noch meine Zehnte Symphonie vergessen. Ein netter Mischmasch. Dieses Quartett ist von einer derartigen Pseudotragik, daß ich beim Komponieren so viele Tränen vergossen habe, wie man Wasser läßt nach einem halben Dutzend Bieren. Zu Hause angekommen, habe ich es zweimal versucht zu spielen, und wieder kamen mir die Tränen. Aber diesmal schon nicht mehr nur wegen seiner Pseudotragik, sondern auch wegen meines Erstaunens über die wunderbare Geschlossenheit seiner Form.“

Ein anderer Freund, Lew Lebedinski, schreibt: „ Am Tag seiner Rückkehr von einer Reise nach Dresden, wo er sein Quartett vollendet hatte und eine große Zahl von Schlaftabletten gekauft hatte, spielte er mir das Quartett auf dem Klavier vor und sagte mit Tränen in seinen Augen, dass es sein letztes Werk sei. Er deutete an, dass er vorhabe, Suizid zu begehen. Vielleicht hoffte er unbewusst, dass ich ihn retten werde.“

Unter diesen zitierten Vorzeichen ist das achte Quartett gewissermaßen der musikalische Abschiedsbrief eines verzweifelten Menschen, der zu diesem Zeitpunkt mit seinem Leben abgeschlossen hat.

Die offizielle Widmung lautet: „im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“.

Seit vier Jahren wissen wir von Schostakowitschs Tochter Galina, dass diese Widmung auf offiziellen Druck hin zustande kam. Wenn man die vielen Selbst-Zitate aus der Zeit vor dem Weltkrieg in diesem Quartett bedenkt, so erscheint die Widmung auch unsinnig. Ein Sinn ergibt sich jedoch, wenn auch der Komponist, vertreten durch die vielen Monogramme und Selbst-Zitate, sich selbst zu den Opfern zählt. Und wenn man bedenkt, wie viele Jahre nach dem vernichtenden Stalin-Artikel „ Chaos statt Musik“ Schostakowitsch um sein Leben bangen musste, so ist dies absolut legitim.

Im eben zitierten Brief erwähnt Schostakowitsch, dass er viele Themen aus früheren großteils eigenen Kompositionen im achten Quartett verwendet. Offensichtlich erfolgen Auswahl und Reihenfolge der Zitate einer bewussten inneren Dramaturgie. Denn Schostakowitsch wählt Zitate nur aus solchen Werken, die in seiner künstlerischen Laufbahn von besonderer Bedeutung waren, und überdies ordnet er sie in chronologischer Reihenfolge an. Auf diese Weise wird der Weg durch das achte Streichquartett zugleich ein Weg durch markante Stationen von Schostakowitschs eigenem künstlerischen Werdegang. Das Finale des Achten Streichquartetts greift schließlich auf den Kopfsatz zurück und bringt somit eine Art Zitat des Werks im Werk selbst. Der Weg durch die in der Musik angedeuteten Kompositionen endet folgerichtig in der unmittelbaren Gegenwart: im Augenblick des Komponierens.

Es erscheint nachvollziehbar, warum Schostakowitsch dieses Werk als Requiem für sich selbst bestimmte. (Bruno Schiemann)


Viktor Kalabis, 1923 im Osten Böhmens geboren, konnte erst nasch dem 2. Weltkrieg sein Studium der Musikwissenschaft, Philosophie und Psychologie beginnen. Zugleich studierte er am Prager Konservatorium Komposition. Seine Dissertation über Strawinsky und Bartók wurde mit der Begründung abgelehnt, es handle sich um dekadente, formalistische Bourgeois. Erst 1990 erhielt er die Doktorwürde.

Zeitlebens hatte er sich, ebenso wie seine Frau, die weltberühmte Cembalistin Zuzana Ružičková, geweigert, der kommunistischen Partei beizutreten. Seine besondere Verehrung galt Bohuslav Martinu, der aber nicht aus dem Exil zurückkehrte.

Sein 4. Streichquartett (von sieben), 1983/84 komponiert, „weist eine feste architektonische Struktur auf und besticht durch eine fein ausgearbeitete Polyphonie. Sie trägt die Widmung „Omaggio a J. S. Bach“ und dies zu Recht, da sie außer dem Anagramm B-A-C-H in senkrechter Form auch ein musikalisches Zitat aus dem Choral Nr. 72 der Matthäus-Passion „Wenn ich einmal soll scheiden“ enthält. Es gibt aber noch eine weitere Inspirationsquelle, die in der kommunistischen Zeit nicht offenbart werden durfte: Hamlets Monolog und mehr noch Shakespeares Sonnett Nr. 66 mit seiner leidenschaftlichen Kritik an der damaligen Gesellschaft.“

(Aleš Březina)