Programm

Samstag, 17.09.2011 20°° Uhr

Jessica Kuhn: Violoncello solo





Johann Sebastian Bach Suite G-Dur BWV 1007

György Ligeti Sonate (1948/53)

Krzysztof Penderecki Divertimento(1994/2000/03/06)

Frangis Ali-SadeAšk Havasi – Liebestanz (1998)




Abfolge:

Krzysztof Penderecki Divertimento

Aria

Johann Sebastian Bach Suite G-Dur

Prelude – Allemande – Courante

György Ligeti Sonate

Dialogo



Johann Sebastian Bach Suite G-Dur

Sarabande – Menuet – Gigue

György Ligeti Sonate

Capriccio



Frangis Ali-Sade Ašk Havasi – Liebestanz



Krzysztof Penderecki Divertimento

Aria - Serenade - Scherzo - Notturno





Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Die Suite – seit dem 16. Jahrhundert in der musikalischen Terminologie und aus der französischen Tanzpraxis kommend – bezeichnet eine meist lose, selten fester gefügte Reihe einander folgender, kurzer, tanzartiger Stücke oder Tänze. Verbunden werden die Sätze durch die einheitliche Tonart, ähnliche, aufeinander bezogene Kopfmotive, ähnliche melodische Stimmführung und harmonische Grundstrukturen. Die Suite war eine weltliche und höfische Unterhaltungsgattung. Das Präludium, das die Tanzsätze einleitete. wurde im 17. Jahrhundert vom Spieler improvisiert, die Noten waren oft nur angedeutet.

Bach schrieb die sechs Suiten für Violoncello solo in seiner Zeit als Kapellmeister am Hof des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen, wo er von 1717 bis 1723 beschäftigt war. Das Autograph ist leider verschollen, doch gibt es vier Abschriften, die ich bei meiner Beschäftigung mit den Suiten immer wieder miteinander verglichen habe: von Bachs Frau Anna Magdalena, von dem thüringischen Kantor und Organisten Johann Peter Kellner (einer der wichtigsten Kopisten der Bachschen Werke) und von zwei anonymen Kopisten aus der zweiten Hälfte und vom Ende des 18. Jahrhunderts. Ich fand dort unterschiedlichste Artikulationen, hinzugefügte Ornamente und zum Teil voneinander abweichende Tonfolgen und Akkorde. Bei der Einrichtung der Bogenstriche habe ich mich schließlich besonders von der Abschrift Anna Magdalena Bachs anregen lassen, da sie mir musikalisch und technisch besonders überzeugend erschienen. Manche offensichtlichen Schreibfehler oder unklare Stellen bei ihr konnte ich durch die anderen Kopien klären.


Frangis Ali-Sade (*1947)

Die aus Aserbaidschan stammende Komponistin fühlt sich der orientalischen Musiktradition ihres Landes sowie der westlichen Neuen Musik gleichermaßen verbunden. Sofia Gubaidulina sagt von der jüngeren Kollegin, daß es ihr gelungen sei, “das zu verwirklichen, wovon viele Musiker nur träumen, die in Ländern außerhalb der europäischen Traditionen leben: die Synthese von moderner westlicher und Mugam- oder Maquam-Technik des Orients … und das voller Temperament, Ernst und ungewöhnlicher Schönheit.” Ost und West empfindet Frangis Ali-Sade keineswegs als Gegensatz: Es ist ihr “Anliegen, zu sammeln, zu bündeln, die verschiedenen Richtungen zusammenzuführen.”

Zu dem Werk Aşk havasi wurde Ali-Sade von der volkstümlichen Liebesgeschichte von “Leyla und Meģnun” des mittelalterlichen Dichters Mehmet Fuzulî (1494-1555/56) inspiriert. (“Aşk havasi” kommt aus dem türkischen und bedeutet soviel wie Liebesgefühle, -melodien, -tänze) Es geht darin um die Begegnung zweier junger Menschen, die sich auf den ersten Blick ineinander verlieben: In den ersten Tagen des Frühlings – die Gärten blühen und duften – geht Leyla mit ihren Freundinnen spazieren, während der junge Mann sich gleichzeitig zur Jagd aufmacht. Beide fühlen in ihrem Inneren etwas wachsen und spüren, daß an diesem Tage Außergewöhnliches geschehen wird. Sie sprechen unabhängig voneinander von der Schönheit der Natur. Auf dem Höhepunkt kreuzen sich ihre Wege, sie erblicken sich und fallen beide – besinnungslos, wie wahnsinnig vor Liebe – in Ohnmacht.


Krzysztof Penderecki (*1933)

Ich habe Jahrzehnte damit verbracht, neue Klänge zu suchen und zu finden. Gleichzeitig habe ich mich mit Formen, Stilen und Harmonien der Vergangenheit auseinandergesetzt. Beiden Prinzipien bin ich treu geblieben… Mein derzeitiges Schaffen ist eine Synthese. Krzysztof Penderecki wurde am 23. November 1933 in Dębica (Polen) geboren. Bereits in jungen Jahren erhielt er Violin- und Klavierunterricht, mit 18 nahm ihn das Krakauer Konservatorium auf. Ab 1954 studierte er Komposition an der Krakauer Staatsakademie für Musik, an die er 1958 zum Professor berufen wurde. Ein Jahr später gewann Penderecki beim II. Warschauer Wettbewerb Junger Polnischer Komponisten alle drei zu vergebenden Preise. Zur internationalen Avantgarde schloss er 1960 mit der Uraufführung von Anaklasis für 42 Streichinstrumente bei den Donaueschinger Musiktagen auf. Einem breiten Publikum wurde Penderecki 1966 mit der Aufführung der Lukas-Passion im Dom zu Münster bekannt. Von 1966 bis 1968 lehrte der polnische Komponist an der Folkwang-Hochschule in Essen. Seine erste Oper, Die Teufel von Loudon nach Aldous Huxley, kam 1969 an der Hamburgischen Staatsoper zur Uraufführung. 1972 wurde Penderecki zum Rektor der Musikhochschule in Krakau ernannt, von 1973 bis 1978 lehrte er außerdem an der Yale University in den USA. Als Dirigent eigener und fremder Werke gewann Penderecki weltweite Anerkennung.


György Ligeti (1923-2006)

Zu Farbe, Form und Konsistenz assoziiere ich fast immer Klänge, wie auch umgekehrt zu jeder akustischen Sensation Form, Farbe und materielle Beschaffenheit. Sogar abstrakte Begriffe wie Quantitäten, Beziehungen, Zusammenhänge und Vorgänge erscheinen mir versinnlicht und haben ihren Platz in einem imaginären Raum.

György Ligeti wurde am 28.5.1923 als Sohn ungarisch-jüdischer Eltern in Dicsőszentmárton (heute Tîrnăveni, Siebenbürgen/Rumänien) geboren. Von 1941 bis 1943 studierte er bei Ferenc Farkas am Konservatorium in Klausenburg, von 1945 bis 1949 an der Franz-Liszt-Akademie in Budapest bei Sándor Veress, Pál Járdányi und Lajos Bárdos. Nach der Niederschlagung des Aufstandes in seiner Heimat verließ er im Dezember 1956 Ungarn aus politischen wie künstlerischen Gründen.

Während der Zeit als freier Mitarbeiter im Studio für elektronische Musik des WDR Köln (1957 bis 1958) setzte er sich intensiv mit der Musik von Karlheinz Stockhausen, Mauricio Kagel und Pierre Boulez auseinander. In den 1960er Jahren wirkte Ligeti als Dozent bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik und als Gastprofessor an der Stockholmer Musikhochschule. 1969 bis 1970 war er Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin, 1972 Composer in Residence an der Stanford University in Kalifornien. Ein Jahr später wurde er als Professor für Komposition an die Hamburger Musikhochschule berufen. Als Hochschullehrer (bis 1989) und als Komponist prägte Ligeti maßgeblich die internationale zeitgenössische Musik und wurde zum musikästhetischen Bezugspunkt einer ganzen Generation. Er starb am 12. Juni 2006 in Wien.